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IV. Wirtschaftlische und soziale Lage.
Während im Vorjahre, besonders nach den grossen militärischen
Ereignissen im Westen, in der Wirtschaft des Protektorates
bei den Tschechen drei Gruppen unterschieden werden
konnten: die führenden Männer der Finanz- und Industrie,
die offen loyal, wenn nicht sogar deutschfreundlich eingestellt
waren; die tschechischen Arbeiter und Angestellten
und auch die Bauern, die daran glaubten, dass die sozialen
Errungenschaften des nationalsozialistischen Deutschlands
auch ihnen zugute kämen; eine bürgerliche Mittelschicht,
die abwartend oder ablehnend beiseite stand, hat sich zu
Ende des Jahres und im neuen Jahr ein umfassender Wechsel
in der Stimmung der Tschechen auch auf dem Gebiete der Wirtschaft
ergeben. Es ist nicht nur in letzter Zeit eine gewisse
Versteifung der Haltung auf tschechischer Seite festzustellen,
die neben den bekannten aussenpolitischen Gründen
u. a. auch Behauptungen über angebliche Zusagen deutscher amtlicher
Stellen hinsichtlich der Behandlung der Tschechen nach
dem Kriege zur Ursache hat, sondern der Widerstand gegen alle
wirtschaftlichen Massnahmen und Anordnungen steigerte sich vom
versteckten und offenen Auflehnen gegen jegliche Kontrolle
bis zu gut vorbereiteten Sabotageakten.
Selbst bisher als loyal geltende Tschechen suchten sich
in letzter Zeit in ihrem Verhalten für den Fall zu decken,
dass der Krieg zu Ungunsten Deutschlands ausfallen sollte.
Einzelne tschechische Wirtschaftskreise rechnen auch für den
Fall eines deutschen Sieges damit, dass Böhmen und Mähren im
Rahmen des Reiches eine weit selbständigere Stellung einnehmen
werden.
Mitbestimmend für diesen grundlegenden Wandel im Wirtschaftssektor
des Protektorates war vor allem die immer mehr
sich zuspitzende Ernährungs- und Versorgungslage.
Der Schwarz- und Schleichhandel blühte nach wie vor und
kam vor allem den begüterten Schichten der tschechischen Bevölkerung